Wissen Sie, warum ein Verstorbener im Sarg mit den Füssen zuerst aus dem Haus getragen wird? Damit er nicht auf seine Familie und seine Wohnung zurückblicken und Lust bekommen kann zurückzukehren. Heute kennt niemand mehr den Sinn dieses magischen, aus dem Mittelalter stammenden Rituals der Totenabwehr und doch wird es immer noch eingehalten.

Auch die Trauergewänder der Witwen erfüllten den gleichen Zweck: der Verstorbene sollte die Frau nicht erkennen, um nicht als Untoter zu ihr zurückzukehren.
Im Englischen gibt es zwei Ausdrücke für Trauer: mourning und grief. Letzterer bezieht sich auf die individuellen Gefühle des Trauernden, während der erstere den sozialen und kulturellen Aspekt meint.
Naturgemäss handelt es sich in diesem Buch hauptsächlich um die Trauer im Sinne von mourning, die nach außen sichtbare Trauer. Diese ritualisierte Trauer mit Bestattung, Kleiderordnung und festgelegten Trauerzeiten gibt es erst seit die Menschen bewusst in einem Sozialverband leben, und die vorgeschriebenen Verhaltensweisen der trauernden Angehörigen hatten den Zweck, die Intaktheit und das Funktionieren der Gruppe wiederherzustellen. Spätestens nach dem sprichwörtlichen Trauerjahr, meistens jedoch früher, wurde erwartet, dass der Trauernde seine Aufgaben in der Gemeinschaft wieder übernahm.
Erst seit dem 19. Jahrhundert, als man begann, aus Liebe zu heiraten und die Familie nicht nur eine Zweckgemeinschaft war, sondern auf gegenseitiger Zuneigung fußte, maß man der emotionalen Trauer, dem Traurigsein, ein Gewicht bei. Traditionell ist die Trauer weiblich, wie es die Geschichte der Totenfürsorge, fast immer von Frauen ausgeübt, beschreibt. Von jeher wird den Frauen eine größere Sensibilität zugesprochen, aber sie wurden auch mit schwereren Pflichten im Trauerverhalten belastet.
Heute haben Trauerrituale, Trauerkleidung und Trauerorte an Gewicht verloren. Jeder trauert wie er will und wo er will, was allerdings nicht unbedingt eine Verbesserung darstellt. Rituale geben Halt, manchmal trösten sie sogar. In der Gegenwart ist das passive Getröstetwerden in die aktive Trauerarbeit umgeschlagen, Trauer ist Seelenarbeit, wobei Selbsthilfegruppen oder Trauerbegleiter helfen sollen.

So widmet Reiner Sörries – übrigens evangelischer Theologe und Professor für christliche Archäologie und Kunstgeschichte – auch ein Kapitel den “Professionen der Trauer”. Gleichfalls gilt seine Aufmerksamkeit der weltlichen, der multikulturellen oder der esoterischen Trauerkultur.
Ein Buch nicht nur für Pfarrer, Ärzte, Therapeuten und Bestatter, sondern für alle, betrifft der Tod über kurz oder lang doch jeden von uns. AS