Ines Geipel ist eine “Entschweigerin”, und das in mehrfacher Hinsicht. Denn die 1960 in der DDR gebohrene ehemalige Hochleistungsportlerin hat nicht nur einen Verein gegründet, der über 2000 Dopingopfer betreut. Sie hat auch das Archiv “Unterdrückte Literatur” geschaffen, in dessen Rahmen sie die “Verschwiegene Bibliothek” herausgibt – und sie schreibt selber. Schon in ihrem 2014 erschienen Buch thematisierte sie die Gefahr des Schweigens über Generationen und schrieb der eigenen die Aufgabe des “Entschweigens” zu. Der plötzliche Tod ihres Bruders Anfang 2018 brachte Ines Geipel dazu, nun auch die Geschichte der eigene Familie zu “entschweigen” und dabei auf eindringliche Weise mit der ihres Landes zu verzahnen.

Geipels Familiengeschichte, das betont sie, ist eine extreme und vielleicht deshalb besonders exemplarisch. Beide Großväter waren in der SS, der eine in Riga stationiert, wo zu dieser Zeit im Wald von Rumbula 500 Juden erschossen wurden. Gesprochen wurde darüber nie. Nach dem Krieg war der Großvater ein schweigsamer, kranker Mann, der an “Unverdaulichkeit” litt.

Der gleiche Mantel des Schweigens wurde später über die Stasi-Tätigkeit von Geipels Vater gelegt. Offiziell Musikpädagoge und Leiter des Dredner Pionierpalastes, war der ausgebildete Spezialagent dafür zuständig, Republikflüchtlinge zu bespitzeln und Morde vorzubereiten. Dass auch seine Kinder die hochprofessionellen Misshandlungsmethoden zu spüren bekamen, deutet Geipel nur an. Wie überhaupt die eigene Geschichte immer nur dazu dient, das große Ganze zu spiegeln. Die Geschichte des Großvaters verknüpft sie mit dem DDR-Gründungsmythos der Befreiung von Buchenwald, wo die Kommunisten als mächtige Kapos im Lager selbst ein Gewaltdiktat führten, was sie im späteren Ulbricht-Regime wiederum erpressbar und gefügig machte.

Auch die eigenen Gewalterfahrungen in der Familie sind symptomatisch, wie Geipel aus intimen Gesprächen mit vielen Dopingopfern weiß. Es sei kein Zufall, dass linke Punks zum Ende der DDR sehr viel konsequenter verfolgt wurden als Skinheads – unter denen sich wiederum auffällig viele Kinder von Stasi-Mitarbeitern fanden. Geipel bietet keine abschießenden Erklärungen, aber eine so beeindruckende wie erschütternde Bestandsaufnahme der Folgen einer Doppeldiktatur – und ihrer heute wieder mehr denn je spürbaren politischen Auswüchse. nil