Dörte Hansen; Altes Land

Ein Buch wie eine Nachricht aus Deutschland, genauer gesagt: aus dem Alten Land bei Stade.

Dort wird Ida Eckhoffs Apfel- und Kirschenhof zum Zufluchtsort für die 1945 aus Ostpreußen vertriebene Gräfin Hildegard von Kamcke und ihre fünfjährige Tochter Vera. Nicht nur in Idas Reaktion spiegelt sich der äußerst steinige Weg der Integration der deutschen Flüchtlinge aus dem Osten: „Woveel koomt denn noch vun jau Polacken?“

Aber das Buch bleibt nicht in diesen alten Zeiten stehen, sondern schildert die Entwicklung von Veras Leben in diesem kleinen Dorf. Sie bleibt immer die Fremde und doch zieht sie nicht fort, weil sie dort wenigstens „festwachsen kann an den Steinen, wie eine Flechte oder Moos“, wenn auch keine Wurzeln schlagen. Sie ist Zahnärztin geworden und behandelt die Leute aus dem Dorf. Außerdem hat sie Ida Eckhoffs Hof geerbt. Mit dem Hof verbindet sie eine Hassliebe: Einerseits ist es ihr Ort, andererseits raunen die Steine nachts immer noch von dem ewigen Streit zwischen ihrer Mutter Hildegard, die den aus dem Krieg als „Pappkameraden“ wiedergekehrten Hoferben Karl geheiratet hat, und Ida. Hildegard hat sich nie in die Rolle der demütig Dankbaren, der möglichst Unauffälligen, der Außenseiterin eingefügt und Ida wiederum konnte sie nie anders sehen als die hochmütige Fremde.

Schon nach wenigen Jahren hat sich Hildegard mit einem neuen Mann nach Hamburg abgesetzt und Vera, ihre Tochter, einfach auf dem Hof gelassen. Da lebt sie nun mit dem schattenhaften Karl, ihrem Stiefvater, Ida ist tot und den Stimmen der Vergangenheit. Doch ist Vera zufrieden. Sie lebt als Einzelgängerin, die im Dorf manche sogar für verrückt halten, mit ihren großen Hunden und Pferden, frei und unabhängig.

Aber plötzlich steht ihre fast unbekannte Nichte Anne mit ihrem kleinen Sohn Leon vor der Tür. Auch sie braucht ein neues Leben, denn, nachdem sie für ihre Familie und auch sich selbst eine Enttäuschung geworden war, hat sie sich innerlich von ihrem Elternhaus getrennt. Und nun ist sie auch noch von ihrem Mann betrogen worden. Ihr ist es auch eigentlich ganz recht, so dem schicken Hamburger Stadtteil Ottensen mit seinen Vollwertmüttern entkommen zu können. (Die Beschreibung dieser Hamburger Blase ist übrigens köstlich überzogen.)

Und nun beginnt im alten Hof wieder eine Geschichte zweier Frauen und eines Kindes, doch dieses Mal im 21.Jahrhundert und positiver. Anne als Tischlerin darf den Hof, der vielleicht „doch kein Racheengel, sondern nur ein Haus ist“, langsam instand setzen. Die Stimmen werden leiser und etwas Neues fängt an zu wachsen.

Das Buch ist kein Heimatroman und blickt nicht romantisch verklärend auf „das Landleben“, sondern erzählt norddeutsch schnörkellos eine Geschichte aus Deutschland, dem alten Land.

(Hanna Meuß-Dold)

Deburoman 2015, 12 € [DE], Penguin Taschenbuch, 288 Seiten, ISBN 3-328-10012-6