Theresia Enzensberger; Blaupause

In der Hoffnung, sie werde wenigstens handwerklich ausgebildet und lerne hübsche Teppiche zu produzieren, gibt der strenge Vater dem Wunsch von Luise nach, und lässt sie 1921 ans Bauhaus nach Weimar ziehen. Und obwohl Luise natürlich eigentlich nur eines, nämlich Architektur studieren will, und ihr Idol, Walter Gropius, an seiner neuen Schule das Postulat der Gleichberechtigung ausgerufen hat, landet die junge Frau zunächst genau dort, wo der Herr Papa sie haben wollte: in der Weberei. Zwar gelingt es Luise bald, zum großen Meister persönlich vorzudringen, doch ist die Heldin in Theresa Enzensbergers Roman „Blaupause“ alles andere als eine feministische Kämpferin, sondern vielmehr das, was man in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen „Backfisch“ genannt hat, der reichlich naiv in die vermeindliche Freiheit und mehr als eine (männliche) Falle läuft, wobei sie ihr eigentliches Ziel aus den Augen zu verlieren droht. Statt am Webstuhl oder am Zeichentisch zu sitzen, schließt sie sich der sektenartigen Gruppe um den Schweizer Bauhaus-Lehrer Johannes Itten an, die nach den Mazdaznan-Regeln lebt, in einer hinduistisch anmutenden Naturverbundenheit. Allerdings geht deren Anziehungskraft für Luise weniger von der kruden Ideologie als dem Studenten Jakob aus.

Nach zwei Jahren hat der Vater von dem Spuk genug, ordert die Tochter nach Berlin zurück und steckt sie in eine Haushaltsschule. Doch Luise sucht sich nicht, wie von den Eltern erhofft, einen standesgemäßen Ehemann, sondern kehrt, als der Vater drei Jahre später stirbt, ans inzwischen in Dessau befindliche Bauhaus zurück, nun wild entschlossen, auf eigene Faust und mit beim Kellnern hart erarbeitetem eigenem Geld ernsthaft zu studieren.

In vielen Aspekten ist diese Luise eine Antiheldin, die (vielleicht besonders dem weiblichen) Leser manchmal gehörig auf die Nerven geht. Dennoch zieht ihre Geschichte in den Bann, nicht zuletzt, weil man eintaucht in die politisierte Welt des Bauhauses, den Aufbruch in die Moderne und die weit über das Kreative hinausgehende Suche nach neuer Orientierung, die allzu oft in den alten gesellschaftlichen Strukturen hängen bleibt. Die historischen Figuren wie Gropius oder Kandinsky geraten etwas zur Staffage, um so lebendiger werden deren Studenten in ihren Irrungen und
Wirrungen, die losgelöst vom bohèmen Kolorit der 20er Jahre, erstaunlich wenig Gestriges haben.

(nil)

Roman dtv Literatur, 256 Seiten, ISBN: 978-3-423-14671-5