Dmitrij Kapitelman; Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters

Dmitrij Kapitelman wurde 1986 in Kiew als Sohn eines jüdischen Vaters und
einer Mutter aus Moldau geboren. 1994 ergreift die Familie die Möglichkeit der Ausreise nach Deutschland, und nicht nach Israel, was theoretisch auch möglich gewesen wäre. Nach dem Aufenthalt in einem Übergangsheim für Kontingentflüchtlinge landet die Familie in Leipzig, wo die Eltern einen Laden für osteuropäische Spezialitäten eröffnen, das „Magasin“. Da viele Freunde des Vaters nach Israel ausgewandert sind, schlägt der Sohn ihm vor, eine Reise dorthin zu unternehmen. Das eigentliche Ziel des Unterfangens besteht jedoch darin, den Vater besser kennenzulernen, der in Deutschland keine richtige Heimat gefunden und es bisher bevorzugt hat, „unsichtbar“ zu bleiben, d. h. sich nicht zu seiner Herkunft zu bekennen und in einer gewissen Lethargie zu verharren. Der Sohn möchte erfahren, was diese Herkunft für den Vater eigentlich bedeutet. Und so fahren die beiden nach Israel. Der Vater vollzieht eine erstaunliche Verwandlung und nähert sich tatsächlich dem jüdischen Glauben an, den er bisher scheinbar abgelehnt hat. Auch der Sohn setzt sich mit diesem Glauben auseinander, an der Klagemauer und bei einer „Blitz-Bar- Mitzwa“. Ihn beschäftigt darüber hinaus sehr stark, dass er nach traditionellem Verständnis kein Jude ist, da er keine jüdische Mutter hat. Aber es berührt ihn – gerade vor dem Hintergrund der schleppenden deutschen Bürokratie – sehr, als ihm erklärt wird, dass er sofort israelischer Staatsbürger werden könnte. Natürlich ist auch der Konflikt mit den Palästinensern Thema, und der Sohn wagt sogar eine Reise in das Westjordanland, wo er sich einer Gruppe palästinensischer Studenten anschließt, seine „Arabangst“ verliert, dafür aber eine „Nahosterektion“ bekommt. Auch wegen solch kreativer Wortschöpfungen ist das Erstlingswerk des Autors ein wahrer Lesespaß. Die genauen Beobachtungen zur israelisch-palästinensischen Lebenswirklichkeit sind ebenfalls ein großer Gewinn.

An dieser Stelle sei auch der zweite, 2021 erschienene Roman von Dmitrij Kapitelman empfohlen: „Eine Formalie in Kiew“ (Hanser, ISBN: 978-3446269378, 20,00 €). Der Autor muss auf Verlangen der deutschen Behörden für seine Einbürgerung eine Geburtsurkunde nebst Apostille vorlegen, die er nur in Kiew bekommen kann und reist nach langer Zeit wieder in seine Geburtsstadt. Angesichts des Kriegs in der Ukraine ein hochaktueller Roman, der einen profunden Einblick in die ukrainische Gesellschaft bietet. Wie gewohnt sehr unterhaltsam!

(Christian Weissenborn)

dtv, ISBN: 978-3423146180, 13,00 €