Christian Berkel; Der Apfelbaum

Wenn Schauspieler anfangen Bücher zu schreiben… mag sich so mancher denken, und das Werk keines näheren Blickes würdigen. Doch nicht nur, weil man sich vor Vorurteilen grundsätzlich hüten sollte, lohnt es sich, Christian Berkels „Der Apfelbaum“ Beachtung zu schenken. Denn der aus Filmund Fernsehen (vor allem durch den ZDF-Dauerbrenner „Der Kriminalist“) hinlänglich bekannte Schauspieler verfügt nicht nur über eine ungewöhnlich schillernde Familiengeschichte, er hat diese auch noch außerordentlich gut verpackt, und zwar in einem Roman. Dessen Protagonisten hätten zwar „Vor- und Urbilder“ in der Realität, seien aber „Kunstfiguren“, wie der Autor in einem kurzen Vorwort ausdrücklich betont.

Berkel erzählt die Liebesgeschichte seiner Eltern: seine Mutter, im Buch Sala genannt, wurde auf dem Monte Veritá geboren, wo ihre Eltern sich in einer Kommune anarchistischer Nudisten kennenlernten. Ihr Vater hatte ein Verhältnis mit Erich Mühsam und therapierte später Herrmann Hesse, ihre Mutter war aus ihrem strenggläubigen jüdischen Elternhaus ausgebrochen und sollte später Mann und Kind verlassen, um im spanischen Bürgerkrieg für die Republik zu kämpfen.

Berkels Vater wiederum, im Buch Otto, kommt aus einfachsten Berliner Hinterhofverhältnissen und droht mehrmals auf die schiefe Bahn zu geraten bevor er es dann doch schafft, ein Medizinstudium zu beginnen. Eine Amour fou, die im Berlin der 20er Jahre beginnt und im dritten Reich zunächst ein jähes Ende findet: Für die Jüdin Sala beginnt die Flucht, die sie zur kaltherzigen Mutter nach Madrid, zur schillernden Tante nach Paris, zurück nach Deutschland und schließlich nach Argentinien führt. Für Otto folgen auf den Einsatz im Krieg lange Jahre der russischen Kriegsgefangenschaft.

Es sind zwei verwundete Seelen, die sich in den fünfziger Jahren auf dem Berliner Kurfürsten Damm wiedertreffen und beschließen, nie wieder auseinander zu gehen.

Dass diese ebenso traurige wie romantische Geschichte zu keinem Moment in Kitsch oder Pathos abgleitet, liegt zum einen an Berkels trockener und gerade auch in den Dialogen sehr stimmigen Erzählweise, zum anderen an den geschickt gesetzten Brüchen durch die Rahmenhandlung. In ihr versucht der Ich-Erzähler, von der schon leicht dementen Mutter ihre Geschichte zu erfahren.

Hier geht es um das Verdrängen, Verherrlichen, Verdrehen oder natürlich auch das Verschweigen im Umgang mit der Vergangenheit, letztendlich um die vielleicht vergebliche – Suche nach der Wahrheit und nach sich selbst.

Unter dem namengebenden Apfelbaum hat Christian Berkel als Junge beim sonntäglichen Kaffeetrinken eher zufällig erfahren, dass er „ein halber Jude“ ist. Wenn er nur halb ist, dann müsse ja wohl etwas kaputt sein, habe er sich als Kind gesorgt. Er hat lange Jahre gebraucht, die Teile zusammenzufügen.

Das Ergebnis ist wirklich beachtlich.

(nil)

Roman Ullstein Taschenbuch, Broschur, 416 Seiten, ISBN: 9783548060866