Boris Pasternak: Doktor Schiwago, viel mehr als ein Schmöker.

Warum nicht mal wieder einen richtigen Schmöker lesen? Ein Schmöker ist ein umfangreiches Buch, das einen so fesselt, dass man nicht mehr aufhören kann zu lesen, also auf Neudeutsch: ein Pageturner. Und genau ein solches Buch ist Boris Pasternaks Klassiker “Doktor Schiwago”: Man legt es nicht zur Seite, zu sehr ist man gefesselt von der Gestalt des Juri Schiwago, der das Leben liebt, aber auch von den vielen Nebenfiguren, die kunstvoll in den verschiedenen Handlungssträngen miteinander verknüpft sind und sich ziemlich genau in der Mitte des Buches ein einziges Mal begegnen. Ein Buch zum Aufpassen!

Dabei wollte Pasternak nur „einen ganz gewöhnlichen Roman“ schreiben…. Der Plot dürfte den meisten bekannt sein, der Stoff wurde mehrfach verfilmt. Aber es geht um mehr, es geht nicht nur um die Liebe eines Mannes zu zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, in der Zeit der russischen Revolution. Aber worum geht es denn? In den Worten von Pasternak selbst: „Lebendig sein, nichts weiter als das, Lebendig bleiben, um jeden Preis, bis zum Ende hin.“

Boris Pasternak (1890 – 1960) war kein Schriftsteller. Er war kein Maler wie sein Vater, der in enger Zusammenarbeit mit Tolstoi dessen Werke illustrierte, er war kein Pianist und Komponist (auch wenn das sein erster Berufswunsch war, eine Klaviersonate ist erhalten, das absolute Gehör fehlte), er war kein Jurist (erstes Studium), kein Philosoph (zweites Studium in Marburg, das Abitur hatte er am deutschen Gymnasium in Moskau gemacht), er war ein Dichter! Neben diesem einen Roman hat Pasternak viele Gedichte und kleinere Erzählungen veröffentlicht. So sind auch die „Gedichte Doktor Schiwagos“ am Ende des Romans für dessen Deutung ganz wesentlich und stellen den christlichen Bezug her – obwohl Pasternaks Eltern jüdischer Herkunft waren. Die christliche Nächstenliebe und die Suche nach dem richtigen Leben wird am deutlichsten, als Schiwago bei einer Kampfhandlung zwischen die Fronten gerät und bei zwei jungen gefallenen Soldaten der jeweils gegnerischen Fronten jeweils ein Amulett findet: Beide enthalten den neunzigsten Psalm!

Kein Wunder, dass Pasternak in seiner Heimat von einem regimetreuen Journalisten als „das Unkraut auf dem sowjetischen Rasen“ bezeichnet wurde.

Wie ein Krimi liest sich heute die Geschichte der Veröffentlichung und Würdigung dieses Romans: Zunächst nur in Übersetzung in Italien erschienen, wurde er dann – um eine Nominierung für den Nobelpreis zu ermöglichen – in Amsterdam in Originalsprache unter zumindest finanzieller Beteiligung des CIA gedruckt. Es folgt die Verleihung des Nobelpreises 1958, den Pasternak zunächst annimmt und dann auf Druck der sowjetischen Regierung ausschlägt, um nicht – schon todkrank – seine Heimat verlassen zu müssen. Posthum wurde Pasternak 1987 rehabilitiert und wieder in den sowjetischen Schriftstellerverband aufgenommen. Erst 1988 erschien der Roman zum ersten Mal in der Sowjetunion, 1989 nahm Pasternaks Sohn den Nobelpreis für seinen Vater in Stockholm entgegen.

Leben – Leiden – Leidenschaft – Lara: Wenn das kein Schmöker ist!

(Katharina von Samson-Himmelstjerna)