Resi hält sich für eine intelligente Frau, und das ist sie auch. Aber von einigen Strukturen oder Zusammenhängen hat sie keine Ahnung. Erst als Erwachsene, auf einem Kuüchenfussboden aus grauen PVC-Platten stehend, überkommt sie die Erkenntnis, dass ihr Leben anders hätte verlaufen können. Wenn sie andere Eltern gehabt hätte, wäre dieser Fussboden anders. Auch die ungelebten Träume wären anders gewesen. Sie schiebt ihr Unvermögen darauf, dass die Eltern der vorigen Generation nicht mit ihren Kindern redeten. “Keine Generation kommt davon, ohne dass die nächste ihr etwas vorwirft”, sagt sie zu einer Freundin. Bei ihr soll das nicht geschehen, darum beginnt sie mit ihrer 14-jährigen Tochter Bea über alles zu sprechen, über Fussböden und Kontoauszüge, über das Buch, das sie schreibt, über Gott und die Welt.
Die alte Clique wohnt immer noch zusammen im gleichen Haus: Vera, Frank, Ulf, Friederike, Christian, Ellen – und Resi mit ihrem Mann Sven als Untermieter von Frank. Doch die Freundschaft ist brüchig geworden, Frank hat Lust, klar Schiff zu machen, vor allem seit Resi ihn mit ihrem Buch nervt. Resi glaubt immer noch, was damals, in den Achtzigern, alle glaubten: dass alle Menschen gleich seien und mit Einsicht und gutem Willen gut und menschlich zusammen leben könnten. Doch da gibt es die Erbfähigen und die, die es nicht sind. Resi und Sven, der brotlose Künstler, gehören definitiv nicht dazu. Bis zum Ende des Jahres müssen sie raus. Resis Frust findet in ihrem wütenden, von den anderen als boshaft und verleumderisch bezeichneten Buch Ausdruck. Wer ist sie denn, dass sie sich ein Urteil erlauben könnte? Und wie hatte sie überhaupt den Leichtsinn, vier Kinder in die Welt zu setzen, einfach so, ohne nachzudenken? Kinder kosten Geld. “Weiss man doch.”
Und tatsächlich hat der Leser oft den Eindruck, die Kinder würden ihr manchmal zu viel. Butterbrote schmieren, einkaufen, waschen oder sie dreckig herumlaufen lassen, Geschichten vorlesen, wieder kochen … Und ständig diese Ambivalenz, dass alles so, aber auch anders sein könnte.
In einer Rezension auf dem Klappentext heisst es: …”einen Roman wie diesen gibt es viel zu selten in der deutschen Gegenwartsliteratur: wütend, intensiv, ein Schlag in die Magengrube…”
Ich würde dem nicht ganz so euphorisch zustimmen, doch das Buch hat etwas. Nicht umsonst erhielt es den diesjährigen Buchhändlerpreis der Leipziger Messe. Übrigens kommt der Name Resi nicht von Therese, sondern von Parrhesia, der “freien Rede, in der man offen und ungeschönt seine Meinung ausspricht.” Resi macht ihrem Namen alle Ehre. AS